Gefahr Kernkraftwerk

Die IAEA hat alles unter Kontrolle. Auf der ersten Genfer Atomkonferenz im Rahmen des Programms „Atoms for Peace“ im September 1955 wurden die Weichen für die friedliche Nutzung der Atomkraft gestellt. Knapp zwei Jahre später, am 29. Juli 1957, wurde die Internationale Atomenergie-Organisation mit Sitz in Wien gegründet, um „den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit zu beschleunigen und zu vergrößern“. Seit 1979 ist sie in der „UNO-City“ beheimatet. Über ein separates Abkommen mit den Vereinten Nationen verbunden, berichtet sie regelmäßig deren Generalversammlung und dem Sicherheitsrat, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellt. Meistens zu spät.


Die Gründung einer Kontrollinstanz war auch dringend notwendig. Der Schock durch die Atombombenabwürfe zum Ende des Zweiten Weltkriegs war überwunden, und ab 1954 entstanden die ersten Atomkraftwerke. Zu dieser ersten Generation zählt auch der erste Reaktor Indiens in Trombay, Maharashtra.

Noch mit Hilfe der Briten aufgebaut, wurde er am 4. August 1956 zum ersten Mal kritisch, oder anders: Er nahm seine Tätigkeit auf. Der Leichtwasserreaktor im „Schwimmbad-Design“ lieferte ca. 1 Megawatt Leistung.

Schwimmbadreaktoren dienen der Forschung. Der Reaktorkern befindet sich in einem mehrere Meter tiefen, nach oben offenen Wasserbecken. Dadurch sind Eingriffe und Experimente für Forschungszwecke und zur Ausbildung leicht möglich. Auch können Materialproben bestrahlt werden. Das Wasser dient als Moderator und zur Kühlung. Die dicke Wasserschicht über dem Reaktorkern genügt bei abgeschaltetem Reaktor auch als Abschirmung gegen die Strahlung. Haute laufen mehrere Forschungsreaktoren am Bhabha Atomic Research Centre (BARC). Mit ihnen ist es u.a. auch möglich, Plutonium herzustellen. Während später gebaute Reaktoren inzwischen wieder abgeschaltet worden sind, ist der erste Forschungsreaktor Indiens auch heute noch in Betrieb. Über Störfälle wurde wenig bekannt. Am 13. Dezember 1991 brach eine Leitung, die radioaktives Schmutzwasser ableitete. Mehrere Arbeiter wurden bei den Aufräumarbeiten durch die Strahlung verletzt.

Der erste Forschungsreaktor Japans wurde 1955 in Tōkai-mura in Betrieb genommen. Ähnlich wie in Indien entstand rund um den Forschungsreaktor eine kerntechnische Großanlage bestehend aus einem Kernkraftwerk sowie der nationalen Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennelemente. In Tōkai befindet sich auch das Japanische Atomforschungsinstitut bzw. seit 2005 die „Japan Atomic Energy Agency“.

In der 1981 in Betrieb genommenen Wiederaufarbeitungsanlage kam es am 30. September 1999 zu einem folgenschweren Unfall. Maximal  2,3 kg angereichertes Uran hätten in den Tank gefüllt werden dürfen. Den Rekonstruktionen zufolge waren es aber etwa 16 kg, die tatsächlich eingefüllt worden waren. Was jedoch genau geschah, bleibt bis heute unklar. Wahrscheinlich sollte Uranoxid in Salpetersäure aufgelöst werden, damit Urannitrat entsteht. In einem weiteren Schritt hätte man daraus wohl Urandioxid (das Mineral Uraninit = Pechblende) gewinnen wollen, welches man zu Brennstoff-Tabletten presst. Fest steht weiters, dass die ungenügend ausgebildeten Arbeiter interne wie behördliche Vorschriften missachteten und das Uran manuell in den Tank schütteten. Wie auch immer: Die Kritikalität wurde überschritten, und es kam zu einer unkontrollierten nuklearen Kettenreaktion, die 20 Stunden lang anhielt. Die Zahl der Menschen, die erhöhten Strahlendosen ausgesetzt waren, wird mit 35 bis 63 angegeben. Zwei Arbeiter starben an den Folgen der Strahlung. Mehrere hundert Anwohner wurden kontaminiert. Das Ereignis von Tōkai-mura war der drittschwerste Atomunfall weltweit.

Und in unserer Umgebung? Egal, ob Tōkai-mura oder Three Miles Island, ob Tschernobyl oder Fukushima: Die Verantwortlichen übertreffen sich in den Beteuerungen, dass „so etwas“ in Europa völlig undenkbar und ausgeschlossen ist. Alle Sicherheitsvorschriften werden eingehalten, man macht keine planlosen Experimente, und ein Tsunami wird im Bodensee nie auftreten. Der TÜV wacht, und alles ist unter Kontrolle. Und trotzdem: Die Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke, wenn die Gier nach Geld die Normen diktiert.