Texte in der (thematischen) Philatelie

von Georg Friebe

Ein (thematisches) Exponat erzählt eine Geschichte. Aber ein Bilderrätsel wollen wir nicht. Unser philatelistisches Material allein genügt nicht, die Geschichte zu tragen. Wir brauchen Texte: Texte, die über eine Überschrift und eine Anhäufung von Stichworten hinaus gehen, Texte, die erläutern, wie eine Briefmarke oder ein Beleg im Rahmen der Geschichte verankert ist. Und damit beginnt das Dilemma.

Seien wir ehrlich: Wer liest schon all den Text auf einem fremden Exponat? Wir betrachten das Material aus der Sicht des Philatelisten, lesen vielleicht noch an ausgewählten Stellen. Doch die Geschichte entgeht uns. Wir haben tausend Ausreden: Das Licht ist zu schlecht, die Hintergrundgeräusche zu laut, wir sind müde von der Jagd nach Material auf der Börse und können uns schwer konzentrieren. Und überhaupt: Der Text ist zu lang, zu nichtssagend und/oder zu kompliziert. Und dies beginnt oft bereits auf dem ersten Blatt: „Es wird in diesem Exponat gezeigt, wie …“. Wer hat da noch Lust, weiter zu lesen?

Wir Philatelisten sind mit diesem Problem nicht allein. Jeder Museums- und Ausstellungsgestalter steht vor derselben Herausforderung: Wie bringe ich die Betrachter dazu, die Texte zu lesen und neben visuellen Eindrücken auch die Inhalte nach Hause zu tragen, welche die Ausstellung vermitteln will? Die Grundvorgaben sind klar: Kein unruhiger Untergrund, der von der Schrift ablenkt. Keine zu kleine Schrift. Und keine exotische Schriftart: Am leichtesten lesbar ist das aus der Tageszeitung vertraute Schriftbild. Und der Text selbst?

In der Museumswelt geistert ein Stichwort herum: „Ekarv-Methode“. Margareta Ekarv ist kein Museums-Profi. In der Erwachsenenbildung war sie bald mit dem „Neuen Analphabetismus“ konfrontiert: Viele Menschen sind nicht in der Lage, längere Texte sinnstiftend zu lesen. Ihre Methode, (Museums-)Texte leichter lesbar zu machen, entwickelte Margareta Ekarv im Rahmen eines Ausstellungsprojektes für das Schwedische Postmuseum.

Ausstellungstexte werden als gesprochene Sätze empfunden. Und Alltagsgespräche sind selten komplex. Daraus leitet sie folgende Richtlinien ab:

  • Flattersatz – Blocksatz erschwert es, die nächste Zeile zu finden
  • Einfache Satzstrukturen – Nebensätze oder gar Schachtelsätze sind zu vermeiden.
  • Normale Wortfolge, normaler Konversationsrhythmus: Der Satz muss leicht gesprochen werden können
  • Soweit möglich: aktive Form der Zeitwörter
  • Fachbegriffe sind zu vermeiden
  • Eine Zeile soll nicht mehr als einen Gedanken – ein „Bild“ – beinhalten
  • Die Zeilenumbrüche folgen den natürlichen Pausen im Satzrhythmus
  • Daraus ergibt sich zwingend: Keine Silbentrennung
  • Nicht mehr als drei Zeilen pro Satz
  • Maximal 45 Zeichen pro Zeile (inklusiv Leerzeichen – wird von anderen als zu kurz angesehen)
  • Maximal 8 Zeilen pro Absatz
  • Maximal 2 Absätze pro Objektbeschreibung, 3 Absätze pro Texttafel (im Museum)

Oder anders: Komplexe Ideen sind in einfache Sätze zu kleiden. Minimalismus ist angesagt: Alles, was nicht unmittelbar die Aussage stützt, hat im (Museums-)Text nichts verloren.

Die „Ekarv-Methode“ wurde in der Museumswelt unterschiedlich angenommen. Besucherbefragungen sollten bei der Evaluierung helfen. Der häufigste Kritikpunkt lautet: Ekarv-Texte weichen vom gewohnten Bild ab. Dies ist an sich nicht schlecht. Wichtiger aber sind zwei andere Punkte: Ekarv-Texte sind nicht in der Lage, die Spannung über eine längere Geschichte aufrecht zu erhalten. Und sie werden von manchen als „zerhackt“, fast stakkatoartig wahrgenommen. Etliche Museen haben sich daher entschlossen, die Anregungen von Margareta Ekarv gänzlich zu ignorieren. Zu Unrecht.

Wie so oft, führt die sture und kritiklose Anwendung der Ekarv-Regeln ins Leere. Aber eine modifizierte Methode kann auch in der (thematischen) Philatelie helfen, die Texte leichter lesbar zu machen. Nicht alle Test-Leser empfanden die Ekarv-Texte als zerhackt. Sie sahen in ihnen ein poetisches Element, wie in einem Gedicht. Und hier liegt ein möglicher Ansatz: Die Texte ins poetische übersteigern, und mit dem Satzrhythmus, der Satzmelodie spielen.

An erster Stelle also steht die Frage: Was will ich eigentlich aussagen? Die Aussage muss geradlinig auf den Punkt gebracht werden. Jede Abschweifung lenkt auch den Leser ab. Die Aussage muss von unnötigem Bewerk befreit werden, bis sie allein für sich am Papier steht. Dennoch soll sie auch für Leser ohne Vorwissen verständlich bleiben. Nach der „klassischen“ Ekarv-Methode wäre hier die Arbeit beinahe zu Ende. Nur die Ecken und Kanten müssen noch raus. Ich gehe einen Schritt weiter: Der Satz soll melodiös werden. Damit verlasse ich den vorgegebenen Weg: Niemand spricht im Alltagsgespräch in Gedichten. Aber ich denke, dass es gerade der Versuch ist, Alltagssprache in das Schriftbild der Poesie zu kleiden, gleichzeitig aber die Poesie aus ihm zu verbannen, was einen „klassischen“ Ekarv-Text zerhackt erscheinen lässt. Es gilt: Den Text immer wieder laut lesen. Wo er „unrund“ wirkt, wo er „humpelt und hinkt“, muss er verbessert werden.

Egal nach welcher Methode – eines muss klar sein: Nur schlechte Texte lassen sich rasch schreiben. Gute Texte brauchen Zeit. Erst wenige Tage vor der Ausstellung den Text zu verfassen, schadet letztendlich dem gesamten Exponat.

Literatur / Webtipps (englisch)